Die Europäische Union wäre gegen vorübergehende Gaslieferunterbrechungen durch den Ausfall der Ukraine als Transitland deutlich besser gewappnet als noch im Krisenjahr 2009 – was vor allem an dem Ausbau der Erdgasinfrastruktur in den letzten Jahren liegt. Mit Ausnahme weniger Länder in Südosteuropa könnte die Gasversorgung für mehrere Monate gesichert werden.
Dauerhaft kann Europa allerdings derzeit nicht auf die Ukraineroute verzichten.
Eine aktuelle Studie, die das Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) gemeinsam mit weiteren Partnern durchgeführt hat, untersucht die Erdgasversorgungssicherheit Europas im Falle eines Lieferstopps von russischem
Erdgas durch die Ukraine.
Die größere Widerstandfähigkeit Europas gegen einen Ausfall der Transite durch die Ukraine hat mehrere Gründe:
1. Die Abhängigkeit von Ukraine-Transiten ist in den letzten Jahren deutlich
gesunken. In 2014 wurden etwa 55 Mrd. m 3 Erdgas durch die Ukraine nach
Europa geliefert – in 2005 waren es noch 121 Mrd. m3 .
2. Die europäische Gasinfrastruktur wurde in den vergangen Jahren stark
ausgebaut. Dazu zählen die neue Nord-Stream Pipeline durch die Ostsee,
weitere Flüssiggasterminals (LNG) sowie zahlreiche Gasspeicher. Zudem
können nahezu 40 Prozent der Grenzübertragungsstellen heute Gas in beide
Richtungen befördern, d.h. im Ernstfall könnte Erdgas auch in entgegen der
normalen Flussrichtung von West- nach Osteuropa gelangen.
3. Zudem bleibt die aktuelle Gasnachfrage weit hinter den Erwartungen zurück.
War vor wenigen Jahren noch mit einer jährlichen Nachfrage in Europa von ca.
550 Mrd. m 3 gerechnet worden, lag sie zuletzt bei nur ca. 450 Mrd. m 3 . Aufgrund
des geringeren Bedarfs ist die europäische Infrastruktur schwächer ausgelastet
als geplant. Im Krisenfall stünde die freie Kapazität aber zusätzlich zur
Verfügung.
4. Die europäische Gesetzgebung hat sich in den vergangen Jahren entscheidend
weiterentwickelt. Internationale Koordinationsmechanismen, die im Falle einer
Krise greifen sollen, wurden verbessert.
Es ist allerdings fraglich, ob die gute Versorgungssicherheit und das dafür nötige Ausmaß an Infrastruktur auch für die Zukunft Bestand hat. „Wir beobachten momentan eine paradoxe Situation“, erläutert Dr. Harald Hecking, Mitautor der Studie, die
Ergebnisse, „die momentane Nachfrageschwäche des europäischen Erdgassektors fördert zwar in besonderem Maße die Versorgungssicherheit, gleichzeitig ist sie natürlich für manchen Betreiber von Gasinfrastruktur wirtschaftlich herausfordernd. Es
ist also fraglich, ob die Versorgungslage in den nächsten Jahren auf dem hohen Niveau bleibt.“
Auch wenn die meisten europäischen Länder zeitweilige Versorgungsunterbrechungen etwa mit Gasspeichern überbrücken könnten, betonen die Autoren der Studie, dass Europa zurzeit nicht dauerhaft auf Transit durch die Ukraine verzichten kann. Selbst bei sehr guter Verfügbarkeit von Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt, würde die Jahresnachfrage vieler südosteuropäischer Länder nicht mehr gedeckt werden. Besonders betroffen wären Bulgarien, Serbien, Mazedonien, Ungarn, Rumänien sowie Bosnien und Herzegowina.
Die komplette Studie ist unter diesem Link abrufbar: